Stefanie Kuhnhen über ihr Buch "Das Ende der unvereinbaren Gegensätze", das Startup Kokoro und wie Teams besser arbeiten können.
Christiane Brandes-Visbeck: In eurem Buch "Das Ende der unvereinbaren Gegensätze" sagt ihr, dass die Zeit der unvereinbaren Gegensätze wie schwarz und weiß, rechts oder links vorüber ist und wir in Zukunft ganzheitlich denken, leben und arbeiten werden. Wie kamt ihr darauf?
Stefanie Kuhnhen: Unsere Gesellschaft wird - bedingt durch die rasante Entwicklung der Digitalisierung - auf der einen Seite immer komplexer und undurchsichtiger, auf der anderen Seite sehen wir eine immer enger werdende Verflechtung von Menschen, Systemen und Dingen. Unsere These ist, dass diese exponentiell zunehmende Verflechtung die Auflösung von klassischen Polarisierungen nach sich zieht. Das ist ein Megatrend, der sämtliche Gesellschaftsbereiche, von der Bildung über Business und Politik bis hin zum individuellem Sein betrifft und neue Strukturen, Machtverhältnisse und Systeme erzeugt.
Lies auch: Manuela Rousseau - mit 7 mutigen Prinzipien zur Top-Managerin
Wie können wir als Menschen darauf reagieren?
Diese Entwicklung erfordert Mut zur Selbstreflexion. Nur so können wir innerer Vielfältigkeit einen Raum geben und komplexe Entscheidungen je nach Situation nach unterschiedlichen Parametern entscheiden. Wir benötigen diese Methode, um unsere Ganzheitlichkeit als Menschen und als Teams neu zu entwickeln.
Eine dieser Methoden entwickelst du selbst. Du hast dafür ein Start-up gegründet...
Unser Start-up kokoro, das ich mit Imran Rehmann und Shawn Ardeiz gegründet habe, ist tatsächlich gerade ein sehr relevantes und damit spannendes Thema! Wir haben es kokoro genannt, weil der japanische Begriff "kokoro" für die Einheit von Kopf, Herz und Körper steht – ein entsprechendes Wort gibt es im Deutschen gar nicht. Der Purpose von kokoro ist, die allseits gemessenen KPIs (Key Performance Indicators) als Steuerungstool im Unternehmen um die Messung von KEIs zu ergänzen – Key Emotional Indiciators: Diese Daten sind notwendig, um den aktuellen, emotionalen Status von Teams zu messen. Wir wollen die Lücke zwischen Menschen und Zahlen, zwischen Kopf und Herz schließen.
Weshalb ist das so wichtig?
Je besser ein Team sich miteinander fühlt und arbeitet, umso effektiver und innovativer ist es. Dies haben zahlreiche Studien nachgewiesen. Bisher gibt es kein Tool, das genau das tut: Und hier helfen wir nun mit kokoro, dass Teamdaten in Echtzeit, mobil, anonym und transparent misst und es den Teams so ermöglicht, sich um sich selbst zu kümmern. Wir nennen das "Bottom-Up-Healing".
In welcher Phase befindet sich kokoro gerade?
kokoro ist im Juli 2019 live gegangen. Unser Produkt ist bereits draußen für Tests, die bereits seit einiger Zeit laufen. Jetzt geht es in die nächste Runde, mit ersten zahlenden Kunden, die das Produkt eigenständig nutzen, was uns sehr freut. Und dann werden wir mit weiteren Investoren Partner für eine größere Skalierung finden.
Die aktuelle Working Women: Das sind unsere Themen!
Was ist euer Hauptfokus?
Aktuell geht es vor allem darum, dass das Produkt einwandfrei läuft – und hier lernen wir mit jedem Test wie alle technisch basierten Start-ups. Klar, auch wir haben Mitbewerber, wie etwa Google. Meine Partner und ich sind wachsam, aber optimistisch, denn wir kommen nicht wie Google aus der reinen Tech-, sondern aus der Diagnostik-Ecke: Wir starten also bei den Menschen mit Experten, die sich sehr gut damit auskennen, wie man menschliche Emotionen richtig messbar macht.
Magst du noch einmal genauer erklären, welche Rolle der emotionale Zustand von Teams spielt mit Blick auf Ganzheitlichkeit spielt?
Es ist wissenschaftlich und empirisch bewiesen, dass angstfreie, verlässliche Teams innovativer und effektiver sind. Wir können diese weichen Faktoren also nicht mehr auslassen in unserer schnelldrehenden, digitalen und damit volatilen Wirtschaftswelt. Unternehmen, die so ganzheitlich denken und diesen ungenutzten Hebel einsetzen, werden erfolgreicher sein. Es gab viele Studien dazu, wie Teams bestmöglich zusammenarbeiten, wir haben bisher in der Wirtschaft oder in unseren Institutionen nur nicht danach gehandelt.
Dann geht es euch mit kokoro auch darum, Veränderungen in Richtung Ganzheitlichkeit sichtbar zu machen?
Mit kokoro zeigt sich zumindest in Echtzeit, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich mit dem Wandel fühlen. Die wahre Leistungsfähigkeit einer Organisation lässt sich eben nicht nur mit Zahlen über den Output messen. Zu dieser Erkenntnis habe ich 2015 auf dem „Year of the Goat“-Festival in Hamburg, das mein späterer Co-Autor Markus von der Lühe veranstaltet hat, einen Vortrag gehalten. Mein Appell an die Zuhörer lautete „Make the unseen seen“ – mache nicht nur das Sichtbare, sondern auch das Unsichtbare sichtbar – eben mit den Key Emotional Indicators, wie ich sie dann genannt habe. Mit KPIs, also Key PERFOMANCE Indikatoren, messen wir heute als Performance nur den Output. Wir lassen 50 Prozent dessen aus, was die Performance eines Menschen definiert: die weichen Faktoren wie Empathie, Wertschätzung oder Integrität, aber auch Dazugehörigkeitsgefühl, die Qualität der Energie oder die Verletzlichkeit aller Mitglieder. Über die Zeit spürte ich einen immer größeren Resonanzboden für das Thema. In nur 2-3 Jahren veränderte sich das Mindset unserer Business-Welt deutlich. Und nach anfänglichem bloßem Interesse wollten tatsächlich immer mehr Leute testen, wie das mit den KEIs funktioniert.
Wie verwandelt ihr konkret emotionale Werte in messbare KEIs?
Wir haben mit Diagnostics-Experten zu jedem KEI ein Fragenset ermittelt, das wir Usern per App zu Verfügung gestellt haben. Die Fragen kann man in zwei Minuten oder sogar schneller per Handy beantworten. Bei regelmäßigem Messen soll die Befragung am besten ins Unterbewusstsein eingehen, denn wir wollen ja an den aktuellen emotionalen Zustand ran – da müssen wir den Kopf so gut es geht ausschalten. Nachdem die User unsere Fragen beantwortet haben, können sie eine grafische Darstellung ihrer Antworten sehen sowie eine anonyme Darstellung des eigenen Team-Durchschnitts.
Lies auch: Claudia Gersdorf - gegen alle Widerstände zum Erfolg
Alle können also die Ergebnisse der anderen sehen?
Genau. Durch diese Transparenz beginnen die Teams, verborgene oder verschwiegene Themen gemeinsam anzugehen. Es ist also das absolute Gegenteil von der herkömmlichen Mitarbeiterzufriedenheits-Umfrage, die meist in Vorständen unbeantwortet versacken.
Es gibt im New-Work-Kontext die These, dass es zukünftig entweder "Caring Companies" oder "Fluide Firmen" geben wird. In den Caring Companies sollen die Menschen sich wohl fühlen und mit Sinn arbeiten, in fluiden Kontexten werden Menschen gemäß ihres Skillsets und Leistungsvermögens dazu gebucht. Könnte man mithilfe von kokoro nicht jedes Unternehmen zu einer „Caring Company“ transformieren?
Theoretisch ja, denn egal, ob in permanenten oder temporären Teams, kokoro fördert immer die Zusammenarbeit und macht aus Menschen bessere Mannschaften. Praktisch würde ich allerdings sagen: Das wird sich zeigen! Denn auch unsere App ist jetzt noch eine These, die wir in den Markt geben – wie und ob sie wirkt, das lernen wir gerade in Echtzeit. Ich denke emotionale Teamintelligenz leben kann durchaus jede Company lernen – wenn sie Führungsmenschen hat, die die KEIs auch ernstgemeint zulassen und leben können. Denn solche Themen wie Empathie, die kann man nur vorleben bzw. über das "Vorgelebt bekommen" lernen. Das muss die Führungsriege leisten!
Stefanie Kuhnhen ist Geschäftsführerin Strategie und Partnerin bei der Werbeagentur Grabarz & Partner. Zusammen mit ihrem guten Freund, Markus von der Lühe, hat sie das Buch „Das Ende der unvereinbaren Gegensätze“ (Springer) geschrieben. Mit Stefanie Kuhnhen sprach die Autorin Christiane Brandes-Visbeck.